Carl und Daniela Schlettwein-Gsell

Carl Schlettwein sammelte, er war Sammler aus Leidenschaft. Er liebte Bücher, ihre Haptik, ihr Aussehen, ihren Geschmack, Bücher im Regal und Bücher auf dem Tisch. Er genoss die Stunden, die er mit seinen geliebten Büchern verbringen durfte, ohne dass er diese in diesem Moment notwendigerweise lesen musste. 

Carl Schlettwein genoss genauso die Gesellschaft gleichgesinnter Menschen, die seine Freude an den Büchern teilten, Menschen, die sich mit Interesse und Begeisterung in die Arbeit mit diesen Büchern vertiefen konnten. Und er kannte und schätzte den Wert von Büchern als Träger von Informationen, als Übermittler von Wissen, Gedanken, Ansichten und Meinungen. Er wusste, dass in Büchern tradiertes Wissen nicht verloren geht, vorhanden bleibt für künftiges Interesse und spätere Auswertung.

Wissen in Büchern beeinflusst die Sicht auf eine Nation

Aufgewachsen in Deutschland in den 1920er, 30er und 40er Jahren und nach dem Krieg lange im südlichen Afrika lebend hatte er die Kraft der Bücher und ihr Potential zur sozialen Veränderung direkt erleben dürfen. Die Bücherverbrennungen in dritten Reich wie auch die politisch motivierte Zensur und Aufnahmepolitik der Nationalbibliothek in Pretoria zur Zeit des Apartheidstaates Südafrika zeigten den Versuch, das Umfeld und die politische wie gesellschaftliche Meinung zu beeinflussen und zu verändern. Er realisierte, dass die innere und äussere Sicht auf eine Gesellschaft, auf eine Nation, direkt durch das vorhandene Wissen, durch die traditionellerweise in Büchern übermittelten Informationen beeinflusst werden.

«Sammeln ist neutral»

Die Qualität einer Dokumentation liegt in der Neutralität der Sammlung, in dem Versuch ohne Zensur, ohne Beeinflussung durch die eigene politische Meinung zu sammeln, in diesem Fall zu Namibia. So nahm Carl Schlettwein zum Widerstand aufrufende Kampfschriften ebenso auf wie apologetische Abhandlungen aus Sicht der Apartheidbefürworter. So finden sich in den Beständen der Basler Afrika Bibliographien heute unter anderem Propagandaschriften von allen Konfliktparteien aus dem jahrelangen Freiheitskampf.

Gemeinsames Interesse für Menschen

Im internationalen Studentenheim der Universität Kiel traf Carl Schlettwein 1950 seine zukünftige Frau Daniela Gsell, eine Medizinstudentin aus Riehen bei Basel in der Schweiz. Es verband sie eine Liebe, die lange Jahre der Distanz zwischen der Schweiz und Südafrika überdauerte, und über den Tod von Carl Schlettwein im Jahre 2005 hinweg anhält.

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Sie fanden sich im genuinen Interesse anderen Menschen gegenüber, in der Freude an wahrer Begeisterung und dem Einsatz mit Herzblut. Das Wissen und die Überzeugung einen derartigen Einsatz unterstützen zu wollen, gepaart mit einer ansteckenden Fröhlichkeit, bildete das Fundament für einen wachsenden Freundes- und Bekanntenkreis, der sich insbesondere im südlichen Afrika als zentral für den Zugang zu den vielfältigsten Publikationen und den heutigen Trouvaillen in den Beständen der Basler Afrika Bibliographien erweisen sollte.

Auswanderung nach Südafrika

Mit der Auswanderung nach Südafrika 1952 und dem Interesse für seine neue Heimat begann Carl Schlettwein Bücher und Informationen zu sammeln. Im Laufe seines 12-jährigen Aufenthalts in Südafrika und Namibia reiste er als Vertreter in alle Ecken und Enden des Landes, besuchte die abgelegensten Orte und lernte die sozialen Strukturen von innen kennen. Anfangs 60er Jahre folgte ihm Daniela Gsell ins südliche Afrika. Sie war über die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse entsetzt. 

1963 heirateten Carl und Daniela Schlettwein-Gsell und kehrten 1964 endgültig nach Europa zurück, als sich das erste der drei Kinder ankündigte; diese sollten nicht mit dem System der Apartheid aufwachsen. Nach der Erfahrung des zweiten Weltkrieges hatte Carl Schlettwein die deutsche Staatsbürgerschaft aus «menschlichen und politischen Gründen» abgegeben, aus denselben Gründen verliess er auch wieder Südafrika. Die Aufenthaltsbewilligung für den Südafrikaner Carl Schlettwein in der Schweiz konnte schlussendlich mit Hilfe des damaligen Basler Verkehrsdirektors Paul Gutzwiller und der Anstellung im Verkehrsverein erlangt werden.

Sammeltätigkeit in der Schweiz – Basler Afrika Bibliographien

Die Sammeltätigkeit ging in der Schweiz weiter, ab 1971 konnte sich Carl Schlettwein auf seine Arbeit in den Basler Afrika Bibliographien konzentrieren, die im gleichen Jahr im mittelalterlichen Tscheggenbürlins Hus am Klosterberg 21 in Basel, dem heutigen Sitz der Carl Schlettwein Stiftung, gegründet wurden. Ermöglicht wurde dies dank der Arbeit und der Umsicht sowie des daraus gewachsenen Vermögens des Ehepaars Margarethe und Rudolf Emil Gsell-Busse, einem 1962 verstorbenen Mitglied des Generaldirektoriums der F. Hoffmann-La Roche AG, den Eltern von Daniela Schlettwein-Gsell. 

Neben der zunehmenden Sammel- und Publikationstätigkeit, sowie laufender Unterstützung von Studierenden, Einzelpersonen und Institutionen in Südafrika und Namibia galt ein Teil des Interesses und der Energie dem Aufbau wissenschaftlicher Strukturen zum Thema Afrika. So war Carl Schlettwein Mitbegründer der Schweizerischen Afrika-Gesellschaft und Initiant des Geomethodischen Colloquiums mit Prof. Hartmut Leser. Die Basler Afrika Bibliographien entwickelten sich zu einem wissenschaftlichen Archiv und einer Spezialbibliothek zu Namibia und dem südlichen Afrika, zum «Namibia Resource Centre – Southern Africa Library».

Der Schritt an die Universität Basel war eine Frage der Zeit. 1997 erhielt Carl Schlettwein den Doktortitel honoris causa auf Grund seiner Verdienste für die akademische Auseinandersetzung mit Afrika. 2001 initiierte und finanzierte die zwischenzeitlich gegründete Carl Schlettwein Stiftung die Professur «Geschichte des südlichen Afrikas» von Prof. Patrick Harries und legte so den Grundstein zur Bildung der heutigen African Studies an der Universität Basel. Seit 2005 hält das Zentrum für Afrikastudien Basel eine jährliche «distinguished Carl Schlettwein Lecture».

Carl Schlettwein Stiftung

Die Carl Schlettwein Stiftung wurde von Carl und Daniela Schlettwein-Gsell in Absprache und mit Zustimmung der Familie 1994 ins Leben gerufen, um die Basler Afrika Bibliographien zu führen und die Forschung zu Afrika, speziell zu Namibia, zu fördern. So sollen die Sammlungen weitergeführt werden, und die Basler Afrika Bibliographien ihre Rolle als wissenschaftliches Archiv, als Spezialbibliothek und als Dokumentationszentrum zum südlichen Afrika mit Schwerpunkt Namibia vertieft wahrnehmen können. 

Der ursprünglichen Idee, der Stiftung den Namen «Carl und Daniela Schlettwein-Gsell Stiftung» zu geben, wurde auf Wunsch von Daniela Schlettwein-Gsell nicht nachgegangen. Die Carl Schlettwein Stiftung fasst den Betrieb der Basler Afrika Bibliographien, die Unterstützung der akademischen Auseinandersetzung mit dem südlichen Afrika am Platz Basel und im internationalen Kontext, genauso wie die Unterstützung von Studierenden im südlichen Afrika in einem institutionellen Gefäss zusammen, und macht diese derart von Einzelpersonen unabhängig. 

Dr. med. Daniela Schlettwein-Gsell ist 2010 aus dem Stiftungsrat der Carl Schlettwein Stiftung zurückgetreten. Bis zu ihrem Tod 2022 begleitete und verfolgte sie die Tätigkeiten der Carl Schlettwein Stiftung und der Basler Afrika Bibliographien mit grossem Engagement und Interesse.